Viele Arbeitnehmende wünschen sich, einen möglichst großen Teil ihres Jobs im Homeoffice erledigen zu dürfen. Aber was ist, wenn durch diese Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice eine neue Klasse von verdammt gut verdienenden Freelancern entsteht und sich das bereits bestehende Wohlstandsgefälle in der Gesellschaft noch weiter vergrößert? Dann würde gelten: Pass auf, was Du Dir wünschst, denn es könnte in Erfüllung gehen!
In diesem Artikel geht es um diesen „Freelancer-Effekt“ und seine Folgen.
Auf das darfst Du Dich in diesem Artikel freuen
- Definition „Freelancer-Effekt“
- Weshalb Freelancer Dich ersetzen könnten
- Unternehmen können auf einen größeren Talentpool zugreifen
- Qualität wird wichtiger als Präsenz
- Ablenkungen fallen weg
- Die Folgen
- Weshalb Superstars so viel besser bezahlt werden
- Meine eigenen Erfahrungen als Freelancer
- Fazit
Definition „Freelancer-Effekt“
Ich befasse mich laufend damit, wie neue Technologien die Art und Weise, wie wir arbeiten und leben, beeinflussen. Und dabei fiel mir etwas auf: So wie die Industrialisierung damals aus Bauern Fabrikarbeiter machte, stehen wir nun an dem Punkt, an welchem die Digitalisierung aus Festangestellten Freelancer macht. Und ich glaube, die Art und Weise, wie gut oder schlecht Unternehmen ihre Mitarbeitenden bezahlen, verändert sich dadurch dramatisch.
Was die Zukunft betrifft, bin ich überzeugt: Einige wenige Menschen können richtig viel Geld verdienen, der Rest muss kämpfen. Ähnlich, wie es bereits heute im Filmbusiness oder im Sport der Fall ist.
Um es auf den Punkt zu bringen: Die „Superstars“ bekommen immer mehr Aufträge, und für den Rest bleibt immer weniger übrig.
Viele Menschen ärgern sich über die Konzentration der wirtschaftlichen Macht in den Händen weniger Personen. Diese Diskussion konzentriert sich heute in der Regel auf die Tech-Milliardäre und die von ihnen gegründeten Unternehmen – Amazon, Google, Facebook und in geringerem Maße vielleicht auch Apple, Twitter und Tesla. Aber eine kaum beachtete Gruppe von Menschen ist im Begriff, das Wohlstandsgefälle auch „im kleinen“ zu vergrößern.
Diese Gruppe besteht aus arbeitenden Menschen, die weder Unternehmen besitzen noch fest angestellt sind. Ich spreche von Freelancern.
Weshalb Freelancer Dich ersetzen könnten
Vielleicht gab Dein Unternehmen kürzlich bekannt, dass Du zukünftig zwei, drei oder vier Tage pro Woche im Homeoffice arbeiten kannst. Und vielleicht freust Du Dich darüber, weil Du Dir so den Arbeitsweg sparst und mehr Freizeit hast.
Aber unter Umständen sind es mittelfristig nicht nur die bestehenden Mitarbeitenden, welche die Unternehmen ins Homeoffice versetzen, sondern die Jobs: Vielleicht werden die Positionen von den Personen besetzt, die sie zuvor innehatten, vielleicht aber übernehmen Freelancer diese Jobs. Und es gibt einige Gründe, warum das Aufkommen dieser Freelancer zu einer Gruppe von „Superstars“ führen wird:
Unternehmen können auf einen größeren Talentpool zugreifen
Früher mussten Mitarbeitende in der Nähe der Fabrik wohnen, in der sie arbeiteten, die wiederum in der Nähe einer Eisenbahnlinie liegen musste, die wiederum in der Nähe eines Hafens liegen musste. Oder die Mitarbeitenden mussten in der Nähe des Bürogebäudes wohnen, in welchem sie arbeiteten.
Natürlich gelten diese Zwänge für viele Menschen noch immer. Aber eine wachsende Zahl von Menschen ist in der Lage, sie zu überwinden. (Und das gilt übrigens nicht nur für „einfache“ Büromitarbeitende, sondern auch für Ärztinnen, Lehrerinnen, Stripperinnen, Coaches und viele mehr.)
Heute können Unternehmen dank der Digitalisierung auf einen größeren Talentpool zugreifen und müssen sich nicht mehr darauf beschränken, Mitarbeitende aus der Nähe ihres Firmensitzes einzustellen.
Früher hatten Menschen in kleineren geografischen Bereichen weniger Konkurrenz und trafen selten auf Top-Performer, die zehnmal produktiver waren. Wenn Unternehmen jedoch in der Lage sind, Mitarbeiter in einem größeren Radius zu suchen, erhalten sie Zugriff auf Freelancer, die um ein Vielfaches produktiver sind. Diese Superstars sind begehrt und Unternehmen umwerben sie. Auch der allgegenwärtige Fachkräftemangel spielt hier mit rein.
Qualität wird wichtiger als Präsenz
Traditionelle Arbeitsweisen mit festen Büros sind stark auf Anwesenheit ausgerichtet und weniger auf Output und Produktivität. Im Büro zählt die Anwesenheit oft mehr als die Qualität der Arbeit, was es leistungsschwachen Mitarbeitern und sogar ganzen Führungsebenen leicht macht, zu überleben.
Wenn die Arbeit jedoch von überall erledigt werden kann, ist es fast unmöglich, Anerkennung für die bloße Präsenz zu bekommen. Infolgedessen legen Unternehmen, die Freelancer oder Mitarbeiter ohne festen Arbeitsplatz beschäftigen, den Fokus auf die Qualität der geleisteten Arbeit. In diesem Umfeld ist die Produktivität wichtiger als die Präsenz, wodurch leistungsschwache Mitarbeiter ins Hintertreffen geraten.
Zusätzlich entfällt das Problem, dass die Mitarbeitenden zu wenig oder zu stark ausgelastet sind: In jedem Büro gibt es Momente, in denen wenig läuft. Trotzdem muss das Unternehmen die Mitarbeitenden bezahlen. Auf der anderen Seite gibt es Momente, in denen die Mitarbeitenden „am Anschlag“ sind und die riesige Arbeitsmenge kaum bewältigen können. In solchen Fällen kann es schwierig sein, zusätzliche Mitarbeiter einzustellen oder Überstunden zu leisten, ohne dass die Mitarbeitenden sich überlastet fühlen oder die Arbeitsqualität beeinträchtigt wird. Freelancer bieten hier einen Ausweg.
Ein weiterer Vorteil von Freelancern besteht darin, dass sie oft über spezielle Fähigkeiten und Fachkenntnisse verfügen, die dem regulären Büroteam möglicherweise fehlen. Diese Fähigkeiten können dazu beitragen, bestimmte Projekte schneller und effektiver abzuschließen, was letztlich zu einer höheren Produktivität und Rentabilität führt.
Ablenkungen fallen weg
Freelancer können sich ein Umfeld schaffen, in welchem sie weniger abgelenkt und maximal leistungsfähig sind. Und sie können beeinflussen, wie oft sie an einem Meeting teilnehmen müssen. Ich bin mir bewusst, dass es nicht allen möglich ist, zu Hause ein produktives Umfeld zu schaffen. Aber diejenigen, die das hinbekommen, ziehen einen großen Nutzen daraus.
Die Folgen
Sobald eine kritische Masse an Unternehmen die Vorteile der Zusammenarbeit mit „Superstars“ aus einem größeren Talentpool entdeckt hat, gibt es kein Zurück mehr. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, werden die meisten verbleibenden Unternehmen auf hochproduktive Freelancer setzen müssen. Ansonsten liefen sie Gefahr, dass diese Top-Performer für die Konkurrenz arbeiten, während sie sich mit den übrig gebliebenen Leuten abgeben müssten.
Weshalb Superstars so viel besser bezahlt werden
Eine Welt ohne Bürokultur wird zu größerer wirtschaftlicher Ungleichheit führen; davon bin ich überzeugt. Mitarbeiter, die sich denselben Raum teilen, erhalten in der Regel ähnliche Vergünstigungen und arbeitsbezogene Leistungen. Wenn alle von einem beliebigen Ort aus arbeiten, wird es für Führungskräfte einfacher sein, eine drastisch unterschiedliche – der Leistung entsprechende – Bezahlung der Mitarbeiter umzusetzen.
In der bisherigen Präsenzkultur, die wir uns gewohnt sind, erhalten alle Mitarbeitenden dieselben Lohnnebenbestandteile und ein ähnliches Gehalt für vergleichbare Jobs. Alles andere führte zu Unmut unter den Mitarbeitenden. Wenn alle im gleichen Büro arbeiten, fällt es einem Unternehmen schwer, zu begründen, weshalb der beste Programmierer dreimal so viel verdient wie der schlechteste. Und dies selbst dann, wenn der bessere Programmierer den Code in zwei Stunden geschrieben hat, während der schlechtere Programmierer für den gleichen Code zwei Tage benötigt.
Und mit diesem Verhältnis übertreibe ich nicht! Es gibt eine Studie, die das belegt und die Harvard Business Review kam in einem Artikel zum Schluss, dass Unternehmen „in Bereichen wie der Computerprogrammierung einen Unterschied von acht zu eins zwischen der Produktivität von Stars und Durchschnittsarbeitern feststellten“. Und Alan Eustace, Vizepräsident für Technik bei Google, erklärt im renommierten Wall Street Journal:
„Ein Spitzeningenieur ist 300 Mal oder mehr wert als der Durchschnitt. Ich würde lieber einen ganzen Jahrgang von Absolventen der Ingenieurwissenschaften verlieren als einen einzigen herausragenden Ingenieur.“
Woran das liegt? Christian Busch erklärt es in seinem Buch „Erfolgsfaktor Zufall“, welches Anfang 2023 erschien, wie folgt:
Experimente, bei denen die Ergebnisse von Programmierern verglichen wurden – einige übertrafen die Ergebnisse anderer um das Zehnfache (!) – zeigten überraschende Ergebnisse. Man hätte erwarten können, dass Merkmale wie Erfahrung und Gehalt die Ergebnisse gut vorhersagen. In diesen Experimenten stellte sich jedoch heraus, dass der wichtigste Faktor darin bestand, ob die Programmierer genügend Raum hatten, um vertiefte Arbeit zu leisten. Die erfolgreichsten Programmierer arbeiten für Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden die Kontrolle über ihre physische Umgebung, Freiheit von Unterbrechungen, persönlichen Raum und Privatsphäre geben.
Und genau das ist der springende Punkt: Freelancer können ihren Arbeitsplatz selbst gestalten, Unterbrechungen ausschalten und haben viel persönlichen Raum und Privatsphäre.
In der Welt der Freelancer unterscheiden sich die Vergütungen enorm, je nach erbrachter Leistung. Ein Superstar, um den sich jedes Unternehmen reißt, kann deutlich mehr Geld verlangen als der Durchschnitt. Dies deshalb, weil es bei Wissensarbeitern keinen Zusammenhang gibt zwischen dem Zeitaufwand und der Qualität der Arbeit. Ein großartiger Freelancer kann in einer Stunde leisten, was zehn mittelmäßige Freelancer in einem Tag nicht leisten können. Und dies insbesondere dann, wenn er in der Lage ist, neue Tools erfolgreich zu nutzen.
Ein Beispiel aus meinem Alltag: Nehmen wir an, ein Unternehmen sucht einen Texter und hat zwei Angebote; ein Angebot eines mittelmäßigen Texters und ein Angebot eines Profis:
- Der mittelmäßige Texter rechnet auf Stundenbasis ab, hat einen Stundensatz von 90 €, benötigt für den Auftrag rund 4 Stunden und liefert einen durchschnittlichen Text ab.
- Der Profi nutzt unterstützende Tools, arbeitet ausschließlich mit Pauschalpreisen, verlangt für den Auftrag 270 €, liefert eine Top-Qualität ab und benötigt dafür 1.5 Stunden.
Dann kostet der mittelmäßige Texter das Unternehmen schlussendlich 360 € (4 Stunden zu je 90 €), während es für den Profi nur 270 € bezahlen würde. (Und trotzdem verdient der Profi umgerechnet auf die Stunde doppelt so viel wie der mittelmäßige Texter.) Gleichzeitig erhält das Unternehmen vom Profi einen besseren Text in kürzerer Zeit.
(Der oben beschriebene mittelmäßige Texter war ich, direkt nachdem ich mich selbstständig gemacht hatte, 90 € pro Stunde verlangte und erst wenige Aufträge hatte. Der Profi-Texter bin ebenfalls ich: Heute arbeite ich ausschließlich mit Pauschalpreisen, bin allein mit den Stammkunden bereits gut ausgelastet und komme in meiner internen Kalkulation auf Stundensätze zwischen 160 und 200 €.)
Die Folge davon: Je mehr Menschen als Freelancer arbeiten, desto mehr wird die Einkommensverteilung derjenigen in der Unterhaltungsbranche oder bei Sportlern ähneln: Es gibt die Superstars, die hohe Vergütungen erhalten und es gibt – die anderen.
Für leistungsschwache Mitarbeitende ist die Zeit des stabilen, garantierten Einkommens und der Arbeitsplatzgarantie dann vorbei.
Meine eigenen Erfahrungen als Freelancer
Ich arbeite seit Ende 2020 als selbstständiger Texter für kleine und mittelständische Unternehmen und biete gleichzeitig Coaching-Dienstleistungen im Bereich Zeit- und Selbstmanagement an.
Ich merkte, dass viele Kunden die Qualität meiner Arbeit schätzen und bereit sind, angemessen dafür zu bezahlen. Wenn Du gute Arbeit leistest, empfehlen die Kunden Dich weiter, und ich habe das Glück, dass die meisten meiner Kunden von selbst zu mir kommen, ohne aktiv nach neuen Aufträgen suchen zu müssen. Obwohl ich kaum Werbung mache und mein Portfolio noch nicht auf meiner Website veröffentlicht habe, bin ich sehr gut ausgelastet und kann es mir leisten, unpassende Projekte abzulehnen.
In den vergangenen Jahren durfte ich an verschiedenen Projekten arbeiten und dabei viele Erfahrungen sammeln. Jedes Projekt bringt seine eigenen Herausforderungen mit sich, sei es eine knappe Frist oder ein schwieriges Briefing. Ich habe gelernt, flexibel zu bleiben und mich auf die Bedürfnisse des Kunden einzustellen. Gleichzeitig ist es wichtig, meine Arbeit stets auf hohem Niveau zu halten und die Erwartungen meiner Kunden zu übertreffen.
Für angehende Freelancer habe ich einige praktische Tipps, die dabei helfen können, Erfolg zu haben: Zum einen ist es unabdingbar, über die notwendigen Fähigkeiten und Eigenschaften zu verfügen, um in seinem Job erfolgreich zu sein. Dazu gehört auch die Fähigkeit, gut mit Kunden umzugehen und auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Es ist auch wichtig, nicht zu viel Zeit und Energie in Projekte zu stecken, die nicht zum eigenen Portfolio passen oder die unrentabel sind.
Eine gute Organisation und ein strukturiertes Zeitmanagement können dabei helfen, den Überblick über verschiedene Projekte zu behalten. Und Du darfst nicht vergessen, Dich immer weiterzuentwickeln und Dich auf dem neuesten Stand zu halten, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Fazit
Die Digitalisierung löst einen neuen „Freelancer-Effekt“ aus. Dieser Effekt wird zu einer Kluft zwischen Superstars und dem Rest führen, ähnlich wie im Filmbusiness oder im Profisport.
Eine wachsende Anzahl von Unternehmen ist dank der Digitalisierung nicht mehr gezwungen, Mitarbeitende in der Nähe ihres Firmensitzes einzustellen, was bedeutet, dass sie aus einem größeren Talentpool auswählen können. Das eröffnet neue Möglichkeiten für Top-Performer, die aufgrund ihrer Produktivität und ihres Talents von Unternehmen umworben werden. Die Qualität der Arbeit wird dadurch wichtiger als die Präsenz am Arbeitsplatz.
Das Internet ermöglicht es jedem von uns, mehr zu verdienen als je zuvor, indem es uns mit genau den Menschen – Kunden, Unternehmen und Fans – zusammenbringt, die unsere einzigartige Kombination von Fähigkeiten und Eigenschaften schätzen. Wenn wir vorhandene Talente mit hilfreichen Tools verknüpfen, steigert das unsere Produktivität nochmals deutlich. Dies klappt jedoch nur, wenn bereits Fähigkeiten vorhanden sind.