Möchtest Du wissen, wie Du ganz einfach und schnell reich wirst?
Kein Problem; im Internet gibt es unzählige Anleitungen dafür. Die Menschen, die Dir diese Tipps – selbstverständlich für eine geringe Gebühr von ein paar hundert Euro – geben, posieren auf ihren Fotos an den schönsten Orten der Welt, mit den schnellsten Autos und den teuersten Klamotten. Wenn das mal nicht überzeugend ist!

Tja … wie soll ich es sagen … heute ist Dein Glückstag! Die Ratschläge, die Du andernorts für viel Geld bekommst, erhältst Du in diesem Artikel völlig kostenlos in eine hübsche Geschichte verpackt!
Und falls Du in den letzten Zeilen ein wenig Ironie vermutest: Die Tipps, die Du in diesem Artikel findest, sind grundsätzlich gar nicht mal so schlecht; aber auf die Umsetzung kommt es an!
Ein letzter Hinweis sei mir noch gestattet: Ähnlichkeiten mit tatsächlich existierenden Personen sind in dieser fiktiven Geschichte vielleicht nicht ganz zufällig.
Mindset der Gewinner: Die 21 geheimen Tipps der Milliardäre
Kürzlich besuchte ich meinen ehemaligen Arbeitskollegen Pascal nach langer Zeit wieder einmal. Er war Ende des letzten Jahres eines meiner Versuchskaninchen bei meiner neuen Zeitmanagement-Coaching-App und erzählte mir vor ein paar Wochen begeistert davon, dass er nie einen meiner Newsletter-Ausgaben und Artikel verpasse. Nein, nicht nur das: Er habe sich inzwischen sogar einige Ratgeber gekauft und suche im Internet fast täglich nach Artikeln rund um Zeit- und Selbstmanagement.
Ich komme nun also bei ihm zu Hause an. Als er mir die Tür öffnet, wundere ich mich ein wenig. Von Kopf bis Fuß ist er in einen Anzug eingepackt, den ich sonst nur aus Reportagen über Krankenhäuser und aus der TV-Serie Breaking Bad kenne.

„Was hast Du vor?“, frage ich ihn verdutzt. „Machst Du jetzt auf Walter White?“
„Oh, das ist ein Tipp aus diesem Buch!“, erzählt er mir begeistert, als er mir „Mindset der Gewinner: Die 21 geheimen Tipps der Milliardäre“ in die Hand drückt. Das Buch hat er gestern für stolze 100 Euro gekauft. „Auf Seite 18 findest Du die Regel Nr. 7: Kleiden Sie sich nicht für den Job, den Sie haben, sondern für den Job, den Sie wollen.“
Ich muss mein Lachen unterdrücken, als ich ihn frage, welchen Job er anstrebe.
„Du weißt ja, dass ich mich schon seit Kindheitstagen für Kriminologie interessiere. Ich will zur Forensik.“
„Mmh … O. K., wenn es Dir hilft, den Job zu bekommen … Was riecht hier eigentlich so komisch? Hat das auch mit Forensik zu tun?“, will ich von ihm wissen.
„Nein. Ich verzichte seit zwei Wochen auf das Duschen, schließlich heißt es in Regel Nr. 8: Unterscheiden Sie zwischen wichtigen und dringenden Aufgaben.“
Wir setzen uns an seinen Küchentisch, und als er mir den Kaffee bringt, erzählt er mir von seiner Kündigung. Seine Vorgesetzte hätte ihn vor die Tür gesetzt. „Wieso denn das?“, wundere ich mich. „Naja“, antwortet er mir, „ich befolgte die Regel Nr. 1: Stehen Sie jeden Tag um 4 Uhr auf, die Regel Nr. 4: Gehen Sie vor der Arbeit eine Stunde ins Fitnessstudio und Regel Nr. 12: Meditieren Sie täglich eine halbe Stunde zu Ihrem Tagesziel. Danach war ich so erschöpft, dass ich einschlief und erst kurz vor Mittag wieder erwachte. Die Kündigung erfolgte dann direkt, als ich im Büro eintraf.“
Ich will von ihm wissen, zu welchem Tagesziel er meditiere. „Ach, irgendwas mit Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit oder so ähnlich … Habe ich Dir schon von meiner Spende erzählt? Gestern spendete ich fünftausend Euro für wohltätige Zwecke!“
„Moment … Fünf Riesen?!?“ Ich bin geschockt. „Ja genau! Regel Nr. 19: Was Sie anderen Menschen geben, werden Sie tausendfach zurückerhalten.“ Ich hoffe für Pascal, dass dies der Fall sein wird.
Er versichert mir, dass er fest davon überzeugt sei; ansonsten hätte er für seine Spende sicher nie diesen Kredit für fünftausend Euro aufgenommen, den er nun zusammen mit einem jährlichen Zinssatz von 14 % zurückzahlen muss.
Da fällt mir ein: „Seit wann interessierst Du Dich eigentlich für Forensik? Ich wusste gar nicht, dass Du Kenntnisse in diesem Gebiet hast!“
„Habe ich tatsächlich noch nicht. Aber hier kommt jetzt die Regel Nr. 13 ins Spiel: Lesen Sie jede Woche ein Buch. Durch das Lesen von Büchern erreicht man seine Ziele rascher.“
„Und was liest Du gerade? Forensisch-psychologische Diagnostik im Strafverfahren? Wenn die Toten sprechen? Die 1%-Methode?“
„Nein, Andreas. Im Moment lese ich „Geheimes Verlangen“! Jetzt bin ich an der Stelle, an der Ana zum ersten Mal allein mit Christian in seiner Wohnung ist.“
Ich greife mir an den Kopf. „Also, Pascal. Wir kennen uns ja gut und wir können ehrlich zueinander sein. Was Du da machst, ist verrückt. Du bist verrückt! Ruf sofort Deine Vorgesetzte an und bitte sie, Dich wieder einzustellen! Versprich ihr, dass so etwas nie mehr vorkommen wird, dass es ein einmaliger Ausrutscher war und sie in Zukunft auf Dich zählen kann!“
Pascal steht auf, doch anstatt die Vorgesetzte anzurufen, räumt er meine noch halb volle Kaffeetasse weg, holt meinen Mantel von der Garderobe, drückt mir diesen in die Hand und bittet mich, zu gehen.
Ich frage ihn, was das soll.
„Regel Nr. 5: Umgeben Sie sich ausschließlich mit positiven Menschen. Du scheinst nicht mehr in mein Umfeld zu passen, da Du meine Ziele nicht unterstützt. Du bringst mich vom richtigen Weg ab und ziehst mich runter, Andreas. Solche Neider wie Du haben in meinem Leben nichts mehr zu suchen.“
„Du redest da völligen Quatsch!“, wende ich ein. „Ich verstehe Dich nicht!“
Er meint nur: „Regel Nr. 10: Versuchen Sie zu verstehen, dann werden Sie verstanden.“
„Wie wäre es mit Regel Nr. 11: Hören Sie auf, so ein Spinner zu sein!“, wende ich ein, woraufhin er mir sagt, das habe er im Buch so nicht gelesen. „Nein, Pascal, das habe ich jetzt einfach mal so erfunden. Jetzt mal im Ernst: Bring Dein Leben in Ordnung!“
Ich verlasse Pascals Wohnung.
Eine Woche später höre ich, dass er ins Krankenhaus eingeliefert wurde und besuche ihn dort. „Die Ärzte erzählten mir, Du seist mit Rollerblades die Rolltreppe im Flughafen hinuntergefahren …“
„Ja, das stimmt. Regel Nr. 2: Stell Dich Deiner Angst und tue es trotzdem.“
„Pascal, ich mache mir Sorgen. Schmeiß dieses Buch bitte weg!“
„Nein, Andreas. Aber ich habe den Autor verklagt. Auf 100’000 Euro Abfindung.“
„Was Sie anderen Menschen geben …“, beginne ich den Satz, und Pascal beendet ihn mit: „…werden Sie tausendfach zurückerhalten.“