
Die Lesemethode Bionic Reading erobert momentan das Internet im Sturm.
Doch verändert diese Methode tatsächlich die Art und Weise, wie wir Texte lesen? In diesem Artikel erfährst Du, wie die Methode funktioniert und was die Wissenschaft dazu sagt.
Auf das darfst Du Dich in diesem Artikel freuen
- Der Sinn (oder Unsinn) von Speed Reading-Techniken
- Was ist Bionic Reading?
- Wie funktioniert Bionic Reading?
- Was sagt die Wissenschaft zu Bionic Reading?
- Die (mögliche) Zukunft von Bionic Reading
- Fazit
Der Sinn (oder Unsinn) von Speed Reading-Techniken
Ich schreibe nicht nur viel – ob hier auf meiner Webseite oder für verschiedene Menschen und Organisationen – sondern lese auch enorm viel. Pro Tag habe ich das Ziel, mindestens eine Stunde in einem Buch zu lesen, recherchiere viel für meine Artikel und es kommen noch zahlreiche andere Texte hinzu. Am Ende sind es schnell einmal täglich drei Stunden Lesezeit.
Bei dieser Menge an Texten vermutest Du vielleicht, dass ich mich brennend für Speed Reading-Techniken interessiere und diese aktiv nutze, da wir Menschen es lieben, Dinge zu optimieren. Dem ist aber nicht so. Ich stellte nämlich fest, dass mein Textverständnis und meine Merkfähigkeit leiden, je schneller ich lese.
Meine Lesegeschwindigkeit liegt bei rund 350 Wörtern pro Minute. Dies liegt deutlich über den 176 Wörtern, die Leserinnen und Leser gemäß der Stiftung Warentest im Durchschnitt erreichen, aber klar unter den 800 bis 1500 Wörtern, die Schnellleser nach eigenen Angaben erreichen. Eine Steigerung der Lesegeschwindigkeit um das drei- bis vierfache hört sich verlockend an. Doch die Stiftung Warentest bestätigt im oben verlinkten Artikel, was auch meine Erfahrungen sind: Ja, Du kannst schneller lesen, doch darunter leidet teilweise Dein Textverständnis.
Jetzt geht eine Methode im Internet viral, die ebenfalls verspricht, dass Du schneller lesen kannst. Sie nennt sich Bionic Reading®. Im Gegensatz zu bisherigen Speed Reading-Techniken soll Dein Textverständnis unter dieser Methode nicht leiden.
Ist das nun einfach die nächste Sau, die durchs (Speed Reading-)Dorf getrieben wird oder handelt es sich dabei tatsächlich um eine bahnbrechende Innovation?
Was ist Bionic Reading?
Die Lesemethode Bionic Reading erobert momentan das Internet im Sturm, da es die Art und Weise, wie Du Texte liest, völlig verändern könnte. Allein dieser eine Tweet über die Lesemethode hat bereits nach kurzer Zeit weit über 100’000 Likes erhalten:
Bei Bionic Reading werden wichtige Buchstaben eines Wortes hervorgehoben und das Gehirn ergänzt den Rest, indem es auf Deinen vorhandenen Wortschatz zurückgreift. Damit sollst Du schneller lesen können. Entwickelt wurde die Methode von Renato Casutt im schweizerischen Chur. Casutt beschreibt die von ihm entwickelte Lesemethode wie folgt:
Bionic Reading versteht sich als neuartige Lesemethode, mit der das Auge durch typografische Auszeichnungen über den Text geführt wird. Der Leser nimmt die hervorgehobenen Anfangsbuchstaben eines Wortes wahr und unser Gehirn vervollständigt das Wort. Mit Bionic Reading wollen wir das Lesen und Verstehen von geschriebenen Inhalten in einer hektischen und lauten Welt fördern.
Das Wort «Bionik» setzt sich aus den Begriffen Bios (Leben) und Technik zusammen. Wir nutzen das menschliche Gehirn, ein Phänomen der Natur, und kombinieren es mit unserer Lesetechnik. Und deshalb «Bionic Reading».
Die Vorteile von Bionic Reading sind laut seinen Angaben:
- Du sparst kostbare Zeit
- Du lernst schneller
- Du bist weniger abgelenkt
In diesem Video erzählt Renato Casutt, wie er auf seine Lesemethode stieß:
Wie funktioniert Bionic Reading?
Bionic Reading stellt Texte anders dar, als Du es Dir gewohnt bist. Die prägnantesten Teile der Wörter werden deutlich hervorgehoben. Dadurch wird das Auge gemäß Casutt rascher durch den Text geführt.
Und weil Menschen unterschiedlich sind, kann der Lesemodus von Bionic Reading individuell an Deine Bedürfnisse und Vorlieben angepasst werden:
Fixation
Mit der Fixation definierst Du die Ausprägung der Buchstaben-Kombinationen. Die Fixation berücksichtigt die jeweilige Wortlänge und kategorisiert diese in lange, mittellange und kurze Wörter.

Sakkaden
Mit der Sakkade definierst Du die visuellen Sprünge von Fixation zu Fixation. Schmale Textspalten benötigen weniger Sakkaden. Breite Textspalten benötigen tendenziell mehr Sakkaden.

Deckkraft
Mit der Deckkraft definierst Du die Sichtbarkeit Deiner Fixation. Eine hohe Deckkraft bewirkt eine starke Sichtbarkeit der Fixation. Eine niedrige Deckkraft reduziert die Sichtbarkeit der Fixation.

Weitere Komponenten
Um die Texte noch besser an Deine Bedürfnisse anzupassen, gibt es zudem auch noch diese Einstellungen:
- Schriftart
- Schriftgröße
- Zeilenabstand
- Laufweite
- Spaltenbreite
Beispiel mit einem meiner Artikel
Die folgende Grafik zeigt einen Vergleich zwischen einem Ausschnitt aus meinem Artikel Warum ist Selbstmanagement wichtig? wie er normalerweise dargestellt wird (links) und wie er mit Bionic Reading dargestellt wird (rechts):
Was sagt die Wissenschaft zu Bionic Reading?
Die Technik ist noch neu, weshalb es keine unabhängigen Studien zu Bionic Reading gibt. Renato Casutt beruft sich auf seiner Webseite darauf, dass die Technik auf Forschungen rund um das Textverständnis-Modell von Just und Carpenter aus dem Jahr 1980 basiere. Zudem gehe die historische, wissenschaftliche Forschung zurück bis ins Jahr 1905, als Louis Émile Javal das Buch Die Physiologie des Lesens und Schreibens verfasste.
Nach Angaben von Casutt haben Nutzer, die von Legasthenie betroffen sind, berichtet, dass das Tool ihnen geholfen hat, den Inhalt verschiedener Texte sofort zu verstehen. Diese Aussage ist mit Vorsicht zu genießen, solange es keine unabhängigen Studien dazu gibt.
Schlussendlich aber ist die wissenschaftliche Meinung nur die eine Seite der Medaille. Viel wichtiger ist es, ob eine bestimmte Technik Dir persönlich hilft. Im Prinzip ist es ähnlich wie bei der Homöopathie: Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass es Humbug ist, trotzdem gibt es Menschen, die darauf schwören und überzeugt sind, bei ihnen wirke es.
Solange es keine wissenschaftlich unabhängigen Studien gibt, gilt deshalb: Ob Bionic Reading Deine Lesegeschwindigkeit erhöht und Dein Textverständnis verbessert, findest Du nur heraus, wenn Du es selbst ausprobierst.
Die (mögliche) Zukunft von Bionic Reading
Heute findest Du die Lesetechnik von Bionic Reading in den RSS-Reader-Apps Reeder 5, Fiery Feeds und Lire sowie als Browser-Erweiterungen für Chrome und Firefox. Zukünftig will Renato Casutt mit seiner Lesemethode in jedem Browser vertreten sein sowie mit Tech-Giganten wie Microsoft, Adobe und Google zusammenarbeiten, wie er in einem Interview mit der Zeitung „Die Südostschweiz“ ankündigte. Bionic Reading solle internationale Verbreitung finden und zum Standard werden.
„Wir möchten, dass das Lesen revolutioniert wird, dass man die Informationsaufnahme grundsätzlich überdenkt.“
Renato Casutt
Fazit
Es ist – zumindest für mich – noch zu früh, um definitiv sagen zu können, ob Bionic Reading die große Innovation ist, wenn es um das Lesen geht. Aus meiner Sicht ist diese Lesemethode aber sicher ein interessanter Ansatz und ich werde sie mal im Auge behalten und während den nächsten Wochen ausprobieren. Denn der Gedanke, die gleiche Menge an Information in kürzerer Zeit aufnehmen zu können, ist schon sehr verlockend.